Nu koneschno!* (31.03.2018)


 

Nelli Kossko

 

Das Männlein steht unschlüssig an der Tür, zieht dann seine Schirmmütze vom Kopf und lächelt verlegen:

„Sdrasti!“**

Dieses Bild ist so ungewöhnlich, dass die Damen vom Frauenchor, die gerade ein Lied anstimmten, wie auf Kommando zu singen aufhören und schweigend die merkwürdige Erscheinung an der Tür anstarren.

„Gutenoovend!“ das Männchen macht einen neuen Versuch, „bashalista“,*** lächelt er spitzbübisch, „bashalista, ich such die Weiwer, die wo singe tun...“

 

So kam der Jakob-Vetter in unseren Frauensingverein und blieb Jahrelang da der einzige Vertreter dieser Spezies - für den Verein eine tolle Bereicherung, denn er spielte nicht nur hervorragend Ziehharmonika und Bajan, sondern hielt uns ständig mit sprühendem Humor und bäuerlichem Witz bei Laune.

Ein typischer Weiberheld, war er gerne der Hahn im Korb und ließ sich hofieren besonders, wenn die Frauen ihn baten, aus seinem Leben zu erzählen.

Und das tat er ja liebend gerne.

 

„En unserm Dorf Rusanowka in Kasachstan, do war ich der perwy parenj na sele****, des kennt ihr mir scho glaawa, d mädla sen links und rechts umgfalle, wenn ich durchs Dorf mit meiner Garmoschka***** ganga bin und gspielt han – des wara Zeita! Un wenn die Natschalniki mich wega Liedrigkeit un Faulheit gscholte hen un gfragt hen, ob ich mich bessern wella tu, han ich immer heflich glächelt un zu allem versehnlich gsacht:

„Nu koneschno!“

 

Wie viele Russlanddeutsche wanderte Jakob-Vetters Sippe nach Deutschland aus, wo sie nicht nur eitler Sonnenschein erwartete. Ausnahmslos allen setzten Sprachschwierigkeiten zu, wobei Jakob-Vetter auch hier immer wieder seine Wunderformel „Nu koneschno“ anzuwenden versuchte, doch sie half nicht immer, genauer gesagt, sie half nie.

 

„Mir wara geschtert zum Bauer uffs Land gfahra – mit mei Tochter un dr Tochtermann“, erzählte er eines Tages. „Mir hen Fleisch kafa wella, a ganze Sau, des kommt des viel, viel billicher, als wie im Magasin. Awer der Bauer hat net versteha kenna, was mir welle, da hat mei Tochtermann ihm des uff deitsch erklärt:

„Du Schwein morcha Kopf ab – mir komma“.

Un was denkt ihr: dr Bauer ruft die Polizei, die bringt uns alle drei in dr Dopper******, fragt uns, ob mir Russa sen.

„Nu koneschno!“ – han ich glei heflich gsacht.

„Aha, - meint do der Polizist, - ihr hen dr Bauer abschlachta wella!“

„Nu koneschno“, - han i wieder gsacht.

Na ja, die hen uns laafa lassa, wo se gseh hen, dass mir Deitsche sen... Kaum sen mir raus ausm Dopper, do kommt uns a Mannsbild entgecha – mit Hut und Steckel, lächelt und sacht: “Griß Gott!“

„Isch der krank?“ han i denkt, „so weit wella mr gar net geja!

Awer ich war heflich un han ihm gsacht:

„Nu koneschno! Macha mr!“

 

Jakob-Vetters Verwandtschaft ist weit verzweigt - es gibt kaum einen Ort in Deutschland, wo er keine Verwandten oder zumindest Bekannten hat.

„Mir, de Michels“, - pflegt er stolz zu sagen, „mir kenna, wen mr numma wella, unser eichenes kleines Gossudarstwo******* macha – mir hen alle Professia, di mr vers Lewa braucha tut!“

Das verpflichtet selbstverständlich. Und so ist der Jakob-Vetter, das lustige Männlein, dauernd auf Reisen durch die Landen – mal in Süd-, mal in Nord - , mal in West - und mal in Ostdeutschland.

Wir, seine getreue Hühnerschar, profitieren unheimlich davon, denn nach jedem Ausflug zu seinen Verwandten gibt Jakob Vetter eine eindrucksvolle Geschichte zum Besten:

„Dessemol war ich im Schwarzwald, mei Halbbruder Willi hat mich mit seiner Maschi gholt. Der Weg war dorten so sche, awer – so hat mei Halbbruder gsagt - dort gebts arig viel Kurva. Ich han awer koi oizig Kurva gseh, s war koi Mensch uff m Weg: Später awer hat mei Halbbruder mir gsagt, dass Kurve krutoi poworot******** haaßt un net des, was ich denkt han. Ich war zherscht bruhigt, awer do seh ich, wie der Weg wieder so oi Kringel macha tut, un ich will des meim Halbruder saga, han awer das Wort vergessa...

„Pass uff, pass doch uf, Willi“, han ich gschrie, „do kommt doch wieder so oi Ssuka...! *********

„Des haisst doch Kurve“, - hat der Willi glacht, „vergeschst des jetzert net me?“ „Nu koneschno“, han ich gsacht, „nu koneschno!“

 

...Die fadendünnen Augenbrauen der Frau im Amt ziehen sich an der Nasenwurzel zusammen, schnellen dann in die Höhe, um wieder gemäß dem Ernst der Lage auf ihren Platz zurückzukehren – es rumort regelrecht hinter ihrer Stirn. Sie kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ihr Gegenüber kein Wort von dem versteht, was sie seit einer geschlagenen Stunde versucht, ihm in einfachen Vokabeln zu erklären.

Missmutig hebt sie den Blick von der Akte und schaut ihren Vis-a’-vis streng an: „Verstehen Sie überhaupt, was ich Ihnen da erzähle?“

Doch unser Jakob-Vetter ist nicht bei der Sache, hat nicht richtig zugehört – wo er doch so große Schwierigkeiten mit dem Hochdeutsch hat.

Aber begeistert von der netten Frau und dem wunderbaren Klang ihrer Sprache, beeilt er sich treuherzig zu beteuern:

„Nu koneschno! Ja,Ja, koneschno“

 

 

Anmerkungen

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* Nu koneschno! Selbstverständlich

**Sdrasti! Hallo!

***Bashalista Bittschön!

****Pervy paren na sele Der beste Bub aufm Dorf

*****Garmoschka Ziehharmonika

******Dopper(Mundart) Gefängnis

******* Gossudarstwo Staat

******** Professia Beruf

**********Krutoi poworot Scharfe Kurve

***********Ssuka Hündin(vulg.) Hier: Nutte

 

 



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